Nürnberg - Seit 1999 spielt Harald Krassnitzer den Ermittler Moritz Eisner im „Tatort“. Sein 50. Fall „Die Amme“ läuft am kommenden Sonntag in der ARD. Wir sprachen mit dem Schauspieler über gute Freunde und schlechte Drehbücher und die anhaltende Popularität des „Tatorts“.

Herr Krassnitzer, Glückwunsch zum Dienstjubiläum als Moritz Eisner! Hätten Sie bei Ihrem ersten Einsatz 1999 geglaubt, dass sie das so lange machen?

Dinge, die man mit Leidenschaft tut, tritt man nicht an, um irgendwelche Jubiläen zu schaffen. Aber da ist es natürlich umso schöner, wenn es überdurchschnittlich oft gelingt, eine große Resonanz auszulösen und Menschen immer wieder aufs Neue mit einer Geschichte zu berühren. Es macht nach wie vor Spaß. Wir arbeiten bereits an den drei neuen Fällen für nächstes Jahr.

Wie hat sich die Figur Moritz Eisner über die Jahre aus Ihrer Sicht entwickelt?

Dieser Moritz Eisner ist gemeinsam mit seiner Kollegin Bibi, aber auch mit dem ganzen Team
wesentlich gewachsen. Und er ist älter geworden. Bibi und Moritz erzählen ja kein Heldenepos. Es sind sehr greifbare, sehr nahbare Menschen. Die haben ihre Gefühle, die haben ihre Probleme, sind oft in widrigen Umständen. Es gibt Momente, in denen sie nicht so schön aussehen, weil sie das sind, was sie sind. Aber genau da entwickeln sie oft die schönsten, die intensivsten Augenblicke. Es ist diese Brüchigkeit, die mich interessiert. Wir stellen uns jedes Mal aufs Neue die entscheidende Frage: Was berührt uns?

Der neue Fall „Die Amme“ zeigt sehr schön das inzwischen intensive Verhältnis zwischen Moritz Eisner und Bibi Fellner. Sind Sie mit Schauspielerin Adele Neuhauser auch privat befreundet?

Adele ist einer dieser Glücksfälle, die man in einem Berufsleben haben kann. Sie ist absolut uneitel, weiß dabei aber ganz genau, was sie kann und macht. Eine ganz starke Frau. Ja, wir sind eng befreundet.

Im neuen Fall leidet Bibi unter Schlaflosigkeit, wird zudem verletzt. Moritz Eisner besucht sie am Krankenbett. Eine sehr berührende Szene...

...Die natürlich mit unserer Freundschaft zu tun hat – aber auch mit dem Mut, es zuzulassen, dass wir nicht in Konkurrenz stehen mit unseren Figuren. Es geht uns beiden immer um die Geschichte, nicht darum, wer den einen Satz mehr oder weniger hat, wer mehr oder weniger glänzt.

Kommt es auch vor, dass Sie schlechte „Tatort“-Geschichten spielen sollen, also ein Drehbuch lesen, das die nicht gut finden?

Ja, das passiert, aber wir sagen dann nicht: Das Buch ist schlecht. Das wäre eine arrogante Haltung. Wir liefern unseren Input dazu. Eine Geschichte wächst immer. Sogar noch beim Drehen.

50 Mal haben Sie nun als Moritz Eisner in Wien ermittelt. Was war für Sie der außergewöhnlichste Fall?

Der hat mit meinem Knie zu tun. Ich hatte mir einmal kurz vor Drehbeginn die Patellasehne gerissen, hatte eine Beinschiene und Krücken. Wir haben das dann einfach eingebaut und meine Rekonvaleszenzzeit zum Drehen genutzt. Es war die beste Physiotherapie, die ich bekommen konnte, weil ich das Bein damit trainiert habe. Bei Wetterumschwüngen, wenn ich das Knie spüre, dann muss ich immer an diesen „Tatort“ denken.

Hatten Sie mal die Sorge, dass Sie die „Tatort“-Rolle zu sehr festlegen könnte?

Nein. Wir machen ja nur zwei, maximal drei „Tatorte“ im Jahr. Außerdem habe ich das Glück gehabt, dass ich viele andere Sachen spielen durfte.

Unter anderem zusammen mit Ihrer Frau Ann-Kathrin Kramer. Ist der gemeinsame Beruf eher von Vor- oder von Nachteil für eine Beziehung?

Ich sehe es als Vorteil. Man ist nicht irritiert, wenn der andere gerade nicht ansprechbar ist und man weiß, dass es Zeit braucht, um nach einem Film in den Alltag zurückzukehren. Und dass man Dinge, die man gemeinhin Erfolg nennt, nicht zu ernst nehmen darf.

Wie sehr hat Corona Sie beruflich wie privat getroffen?

Wir sind in einer sehr privilegierten Lage, haben einen großen Wohnraum, einen Garten, eine sehr intakte Nachbarschaft. Im Vergleich zu vielen anderen Menschen, die massivste Existenzängste haben und die diese Krise ganz anders getroffen hat, geht es uns sehr gut.

Was ist das erste, das Sie tun, wenn alle Beschränkungen aufgehoben sind?

Wonach wir die größte Sehnsucht haben, ist die unmittelbare und unbeschwerte Begegnung mit anderen Menschen – ohne Maske, ohne Abstand, ohne die Frage: Seid ihr geimpft, habt ihr einen Test?

Bei einem Hirtenspiel haben Sie im Alter von 10 ihre Liebe zur Schauspielerei entdeckt, später aber eine Lehre zum Speditionskaufmann begonnen. Warum?

Mit 16 hat sich in mir der Wunsch manifestiert, Schauspieler zu werden. Ich komme aus einer Familie, die sehr bescheiden gelebt hat. Ein Studium wäre finanziell gar nicht möglich gewesen. Meine Eltern waren der Überzeugung, ich sollte einen Beruf lernen, der anders als ihrer nicht durch die klassische Arbeitersituation gekennzeichnet ist. Also einen Beruf ohne Schmutz und Fließbandarbeit. Mein Vater war Schlosser in einem Zementwerk am Hochofen. Meine Mutter hat in der Nachtschicht am Fließband gearbeitet. Es war klar, dass sie den Aufstieg ihrer Kinder in einem Büro sehen oder in einer für sie greifbareren Welt als der Schauspielerei. Als ich volljährig war und all die elterlichen Wünsche erfüllt hatte, habe ich dann endlich das gemacht, was ich wollte.

Sonntag, 20.15 Uhr: Schauen Sie, was die „Tatort“-Kollegen machen?

Ja, immer. Das halte ich für wichtig, um zu sehen, wo sich diese Reihe hinentwickelt. Ich freue mich, dass es eine so hohe Vielfalt gibt. Das finde ich inspirierend und spannend.

Woher rührt die anhaltende Popularität vom „Tatort“?

Diese Marke gönnt uns jeden Sonntag einen neuen Blickwinkel. Dadurch wird sie nie inflationär.

Kennen Sie Nürnberg?

Ja, ich hatte vor zwei Jahren in Nürnberg eine Lesung. Und ich war vor einigen Jahren mal auf dem Christkindlesmarkt. Eine sehr angenehme Stadt!