
Die neue Krankheit sorgte Anfang 2020 für viele Fragezeichen. Das sagt Dr. Dorothea Hartmann, Oberärztin in der Anästhesie und Intensivmedizin der Hallerwiese: "Wir wussten nicht so recht, was auf uns zukommt." Die Aktion #stayathome (auf deutsch: Bleibt daheim) überzeugte die 35-Jährige aber sofort. Und so posierte sie mit Kollegen für ein Bild im Krankenhaus.
Auch OP-Schwester Ina Schmid musste nicht lange für das Fotoshooting überredet werden. Vorsichtsmaßnahmen wie Abstand halten oder der Verzicht auf Treffen mit Familie oder Freunden seien wichtig, meint die 42-Jährige: "Das Virus sieht man nicht – aber es ist da." Oberärztin Hartmann bekennt rückblickend: "Ich hätte nicht gedacht, dass ein Jahr später die Pandemie immer noch so ein großes Thema ist." Strenge Sicherheitsvorgaben bestimmen heute unseren Alltag: Und so wurde das Pressegespräch nicht vor Ort in der Klinik, sondern per Online-Videobesprechung geführt.
Den Alltag auf den Kopf gestellt
In der Krise zusammenhalten, das ist in der Klinik das Motto. Oberärztin Hartmann berichtet: "Bei uns herrscht eine große Solidarität, andere Abteilungen haben uns sehr unterstützt." OP-Schwester Ina Schmid zum Beispiel meldete sich freiwillig und packte auf den Covid-Stationen mit an: "Schließlich wurde jede helfende Hand gebraucht." Dazu erklärt Karin Becke-Jakob, ärztliche Direktorin und Pandemie-Beauftragte: "Für uns zählt die maximale Sicherheit für die Patienten und die Mitarbeiter." Corona-Schulungen fürs Personal, eine eigene Task-Force, die räumliche Trennung von Covid-Patienten und Patienten ohne Infektion: Seit März 2020 werden die Arbeitsabläufe ständig an die Gegebenheiten angepasst.
Lernen von der Krankheit
Wie versorgt man die Covid-Patienten bestmöglich, worauf muss geachtet werden? Dorothea Hartmann resümiert: "Wir haben viel gelernt über die Krankheit – und lernen noch immer dazu." Gewisse Abläufe haben sich eingespielt. Ein Kraftakt ist und bleibt es, einen Patienten, der im künstlichen Koma ist und beatmet wird, von der Rücken- in die Bauchlage zu bringen. Je nachdem, wie schwer der Patient ist, müssen vier bis sechs Beschäftigte ganz vorsichtig mithelfen. "Der Patient hängt an lebenserhaltenden Schläuchen und Maschinen, nichts davon darf sich lösen. Das ist eine kritische Situation. Jede Bewegung bedeutet hohe Gefahr", berichtet die Oberärztin. Anfangs habe man bis zu 45 Minuten fürs Umdrehen gebraucht. Pro Patient ist die Aktion zwei- bis dreimal am Tag fällig. Heute sitzt jeder Handgriff – die Beschäftigten schaffen es in 20 Minuten.
Ringen um Luft
Die Arbeit im Krankenhaus ist mitunter anstrengend und belastend. Das war auch schon vor Corona so: Das Personal hat Schutzmechanismen entwickelt – doch das bedeutet nicht, dass man kein Mitgefühl hat. OP-Schwester Ina Schmid sagt über die Pandemie: "Es ist belastend, wenn man sieht, wie schlecht es den Menschen geht und sich denkt: Das könnte deine Mutter, dein Vater sein."
Covid-Patienten, die bei Bewusstsein sind und bei der Beatmung auf Hilfe angewiesen sind, geraten mitunter in Atemnot. Eine beängstigende Situation für die Betroffenen. "Es ist schlimm, wenn die Menschen um Luft ringen", berichtet die 42-Jährige. So geriet auf der Covid-Station eines Tages ein Patient in Atemnot, wurde immer aufgeregter und schließlich panisch. "Ich habe seine Hand genommen, mit ihm zusammen ruhig geatmet und ihm gezeigt: Ich bin da."
Berührende Momente
Corona, das bedeutet oft ein hartes Ringen ums Überleben. Dorothea Hartmann erinnert sich an ein älteres Ehepaar, das zusammen eingeliefert wurde. Die Frau war nach einigen Tagen auf der Covid-Station wieder gesund, doch ihr Mann erkrankte viel schlimmer und musste auf der Intensivstation versorgt werden. Wegen der eingeschränkten Besuchsregelung entschloss sich die frisch Genesene, im Krankenhaus zu bleiben: Sie durfte in einem Zimmer, wo Platz war, übernachten und konnte damit Tag für Tag ihrem Mann nahe sein. Dann endlich die gute Nachricht: Nach drei Wochen Intensivpflege erholte sich der Senior. Er sollte schon auf die Normalstation verlegt werden, als er eine Lungenentzündung bekam und starb.
"Es war furchtbar. Er wirkte doch so stabil", sagt Dorothea Hartmann. Und natürlich: Ein älteres Ehepaar, das viele Jahre miteinander verheiratet ist, gemeinsam im Krankenhaus versorgt wird und dem Personal in den drei Wochen auch private Dinge erzählt – solche Patienten bleiben im Gedächtnis hängen. "Das hat uns sehr berührt", erklärt die 35-jährige Oberärztin. "Das geht nahe. Das sind die Situationen, wo man daheim drüber nachdenkt."
Hilfe in der Arbeit und daheim
Unterstützung der Mitarbeiter in der Pandemie - das ist ein wichtiges Thema, wie Oberärztin Hartmann sagt. So habe die Klinikleitung schnell reagiert und dem Personal einen professionellen Coach zur Seite gestellt. Dorothea Hartmann sagt: "Man kann mit ihm belastende Ereignisse besprechen und etwas Ballast abwerfen."
Natürlich hat die Pandemie nicht nur den Berufsalltag, sondern auch das Privatleben durcheinander gebracht. OP-Pflegekraft Ina Schmid berichtet von durchgeplanten Tagen ohne viel Familienzeit: "Mein Mann ist Polizist, wir arbeiten beide im Schichtsystem. Unser neunjähriger Sohn ist im Homeschooling, zum Glück helfen die Schwiegereltern bei der Betreuung mit." Und da war immer wieder die bange Frage des Kindes, ob es sich Sorgen um die Eltern machen muss. Wenigstens in dieser Hinsicht kann die Mutter ihren Sohn beruhigen: "Wir sind beide geimpft."
Planen von Tag zu Tag
Die Klinik hat am 3. März 2020 eine interne Corona-Task-Force gegründet. Eine Woche später wurde die erste Covid-Patientin aufgenommen: Eine hochbetagte, aber rüstige Frau, die nach knapp drei Wochen wieder heim konnte. Danach sind bis Ende April nahezu täglich weitere Covid-Patienten eingeliefert worden. Die meisten sind in der Abteilung für Innere Medizin behandelt worden, weil sie wegen ihrer Infektion in der Regel mit einer Lungenentzündung in die Hallerwiese eingewiesen wurden. Covid-Patienten gab es in allen Abteilungen – auch in der Geburtshilfe und in der Kinderheilkunde.
Die zweite Welle war wie bei den anderen Kliniken in der Region deutlich heftiger. So gab es vor allem Ende Januar und Anfang Februar laut Klinik "fast täglich kritisch hohe Belegungszahlen und Belastungssituationen auf den Intensivstationen im gesamten Großraum Nürnberg, Fürth, Erlangen". Genaue Zahlen nennt die Hallerweise zwar nicht, doch sei es oft sehr eng gewesen.
Karin Becke-Jakob, die ärztliche Direktorin, sagt, dass vor allem in der zweiten Phase die Kliniken in der Region sich gegenseitig unter die Arme gegriffen haben: "Ab Anfang Dezember haben wir täglich miteinander konferiert." Wer kann noch Patienten aufnehmen? Wer braucht bestimmte Medikamente oder Equipment? Wie sind die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bewerten und wie wirkt sich das auf die Therapie aus? "Wir arbeiten hier sehr kollegial zusammen", freut sich Karin Becke-Jakob.
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Eine neue Normalität
Aktuell rüstet sich die Klinik für die dritte Welle. Neben der Versorgung von Covid-Patienten geht auch der ganz normale Klinikalltag weiter: Von einer Doppel-Belastung spricht die Pandemie-Beauftragte Karin Becke-Jakob: "Das ist eine Herausforderung. Schließlich haben wir auch viele nicht planbare Eingriffe wie Geburten, Blinddarmentzündungen oder Knochenbrüche."
Und was wünschen sich Dorothea Hartmann und Ina Schmid ein Jahr nach #stayathome? Sie sagen: "Die Menschen sollen sich impfen lassen!" Natürlich wissen sie auch, dass derzeit viele sehnsüchtig auf einen Impftermin warten. Bis jeder, der es möchte, geimpft wird, dauert es. Bis dahin wird die Hallerwiese weiter ihren Weg suchen, in dieser neuen Normalität zu leben und zu arbeiten.
