
Sabine Sauber beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage: Wie sollen die Räume in der neuen Arbeitswelt aussehen? Die Münchnerin ist Expertin für „New Work Spaces“ und eine in ganz Deutschland gefragte Referentin.
Frau Sauber, die Diskussion über neue Formen des Arbeitens läuft heiß. Freut Sie das?
Worüber ich mich nicht freue, ist der Auslöser, die Pandemie: die weltweit größte Krise, die wir bisher erlebt haben. Was ich aber gut finde ist, dass wir diese überfällige Diskussion endlich führen. Ich habe schon lange dafür plädiert, dass es mehrere Orte der Arbeit geben soll, jenseits des normalen Firmenbüros. Aber was jetzt passiert beim Thema Homeoffice ist typisch deutsch. Eine gesetzliche Vorgabe wird nicht die Lösung sein, die wir für die Zukunft der Arbeit brauchen.
Was gefällt Ihnen daran nicht?
Ich wünschte, wir könnten diese Diskussion differenzierter führen. Zuerst sollten wir schauen, welche Aufgaben Menschen in ihrem Büro und im beruflichen Alltag zu erfüllen haben. Welche räumliche Umgebung ist dafür die richtige? Wo ich absolut d‘accord gehe ist, dass wir bei der klassischen Büroarbeit, die man „remote“ machen kann und eben nicht nur im Homeoffice, endlich zu neuen Vereinbarungen kommen müssen.
Was ist der Unterschied zwischen „remote“ arbeiten und Homeoffice?
„Remote work“ ist ortsunabhängiges Arbeiten. Das kann genauso gut im Ferienhaus oder an einem anderen Ort stattfinden, an dem ich eine passende Infrastruktur habe, zum Beispiel gutes WLAN. Die Homeoffice-Diskussion finde ich deswegen so schwierig, weil wir dabei vergessen, dass es viele Menschen gibt, die zu Hause kein wirkliches Homeoffice einrichten können. Wenn ich zwischen Kind und Hund und mehreren Menschen um den Küchentisch herumsitze, ist das vielleicht im Corona-Ausnahmezustand eine Lösung, damit ich überhaupt arbeitsfähig bleiben kann. Hat jemand eine ergonomische, sichere Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, dann ist Homeoffice zeitweise wunderbar. Für alle anderen wäre es aber wünschenswert, die Arbeit flexibel von anderen Orten aus machen zu können.
Gift für die Gesellschaft: Soziologin rechnet mit Homeoffice ab.
An welche denken Sie?
An öffentliche Orte wie Cafés, Lounges, Bibliotheken oder an Coworking-Spaces und flexible Büros. Wenn ich zum Beispiel auf dem Land lebe und die Möglichkeit habe, in meiner direkten Wohnumgebung einen Ort zu nutzen, wo ich ungestört, professionell und produktiv arbeiten kann, und mein Arbeitgeber erlaubt mir das – dann wäre mir das mindestens so recht wie das Arbeiten im Homeoffice.
Wie sieht es denn Ihrer Meinung nach aus, das perfekte Büro?
Die klassische Büroarbeit ist im Wesentlichen in vier unterschiedliche Bereiche gegliedert. Der erste Bereich ist die hochkonzentrierte Arbeit. Der zweite Bereich ist die kollaborative Arbeit, also die Zusammenarbeit im Team. Der dritte Bereich ist das Lernen, das Erlangen und Weitergeben von Wissen. Der vierte Bereich ist das Thema Socializing. Dazu gehören zufällige Begegnungen, der Austausch mit anderen Menschen. Dann muss geschaut werden, wer welchen Anteil an welcher Arbeitsart zu leisten hat. Die Buchhalterin oder der Buchhalter zum Beispiel haben wahrscheinlich einen sehr hohen Anteil an fokussierter Arbeit. Das heißt, für sie wäre die richtige Umgebung ein Raum, in dem sie ungestört arbeiten können. Jemand, der Projektarbeit macht, neue Produkte entwickelt oder kommunikativ tätig ist, hat wahrscheinlich einen sehr hohen Anteil an kollaborativer Arbeit. Seine Büro-Situation muss also so sein, dass er mit anderen zusammen am Tisch sitzen und für Meetings zusammen kommen kann. Es gibt nicht die einzige richtige Bürolösung für alle. Das perfekte Büro gleicht eher einer Arbeitslandschaft, in der man je nach Aufgabe hin- und herwechseln kann.
Raum für Begegnungen
Gerade die Politik fördert den Eindruck, als würden sich alle Arbeitnehmer danach sehnen, zuhause arbeiten zu dürfen.
Umfragen und Studien ergeben, dass viele überlastet sind und den Menschen im Homeoffice der Raum für echte Begegnung fehlt. Es fehlt der Austausch mit anderen, das Gespräch an der Kaffeemaschine, das gemeinsame Mittagessen. Dass man jemanden zufällig trifft und sagt: Toll, dass ich dich sehe, weißt du denn was Neues zum Thema XY. Gespräche, die keine Dringlichkeit haben, auch privat sein dürfen und das Miteinander ausmachen. Auch das ist es, was die Arbeit nicht nur produktiv, sondern auch bereichernd und gut für uns Menschen macht.
Viele fühlen sich wohl in ihren altmodischen Büros. Was stört sie an diesen Zimmern?
Die Büros in vielen Unternehmen sehen noch aus wie aus den 70er, 80er und 90er Jahren. Diese Büros sind nicht mehr zeitgemäß und geeignet für die heutige Arbeitswelt. Es geht bei der Arbeitsplatzgestaltung nicht um eine Optimierung mit Spaß-Elementen, sondern darum, den Menschen eine für sie passende Umgebung zu bieten. Unternehmen, die wettbewerbsfähig bleiben wollen, brauchen Innovationskraft und motivierte, kreative, gut ausgebildete Mitarbeiter. Und die werden eher abgeschreckt von seelenlosen Bürogebäuden mit langen Fluren, Einzelbüros und winzigen Kaffee-Küchen. Unsere Arbeit und Zusammenarbeit hat sich in den letzten zehn, 15 Jahren verändert und gleicht eher dem Teamsport als einem Staffellauf. Dafür brauchen wir Büros, in denen das möglich ist.
Wenn wir ständig woanders arbeiten, werden weniger Büroräume benötigt. Hat das Einfluss auf die Stadtplanung?
Wenn ich Büros in Orte der Begegnung, der Kreativität und des Zusammenarbeitens verwandle, dann brauche ich vielleicht nicht sehr viel weniger Büroflächen. Ich muss sie nur anders gestalten. Ich glaube nach wie vor, dass wir dringend ins Büro müssen. Aber eben nicht mehr fünf Tage die Woche. Und das wird Auswirkungen haben. Sinnvoll ist eine Infrastruktur, die Services und Dienstleistungen bietet, die Menschen rund um die Büros benötigen.
Die Innenstädte kämpfen ums wirtschaftliche Überleben. Was tun?
Die Städte werden sich verändern müssen, um nicht zu veröden. Die Frage ist, wie und wozu Menschen zukünftig in die Innenstädte kommen werden. Welche Art von Geschäften, Gastronomie und kulturellem Angebot wünschen wir uns dort? Und wir brauchen mehr Platz für Begegnungen, zum Bummeln, Flanieren und für Inspiration. Dazu gehört auch freies WLAN. Warum soll ich nicht in einem Café auf einem öffentlichen Platz sitzen und meine E-Mails bearbeiten? Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Zukunft der Arbeit neu zu gestalten. Das ist eine große Chance.
