
Anfang dieses Jahres war im Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg der Ausnahmezustand noch die tägliche traurige Realität. Die 7-Tage-Inzidenz lag zu diesem Zeitpunkt bei über 300, täglich musste das Personal eine dreistellige Zahl von Neuinfektionen managen, die umfassende Ermittlung von Kontaktpersonen war angesichts der schieren Masse von Corona-Opfern nur graue Theorie.
Sechs Wochen später hat sich die Situation deutlich entspannt. Gestern meldete das Robert Koch-Institut für Nürnberg eine Inzidenz von 89,1, die Mitarbeiter im örtlichen Gesundheitsamt sind dem Idealzustand, dass jeder neu infizierte Bürger innerhalb von 24 Stunden telefonisch erreicht und zu seinen Kontaktpersonen befragt werden kann, ein ganz erhebliches Stück nähergekommen.
Inzwischen erheblich mehr Personal
"Im Moment sind wir ziemlich up to date bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen", freut sich Amtsleiterin Katja Günther, die mittlerweile auch über einen deutlich größeren Mitarbeiterstab als noch bei der ersten Welle verfügt. Aktuell kümmern sich 460 Personen (das entspricht 380 Vollzeitstellen) in der Behörde um die örtlichen Auswirkungen des tückischen Erregers, mit dem sich bisher über 22.000 Nürnberger Bürger infiziert haben. Es gebe jedoch noch viel aus den vergangenen Wochen nachzuarbeiten, betont Günther.
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Auch deshalb will die Amtsleiterin nicht groß darüber spekulieren, ob ein optimales Corona-Fallmanagement ab einer Inzidenz unter 50 oder erst unter 35 möglich wäre. Das hänge auch davon ab, wie das Infektionsgeschehen im Detail verlaufe. Ein Massenausbruch, etwa in einem Seniorenheim, sei eine andere organisatorische Herausforderung als viele einzelne Infektionsfälle. Aber dass es sich bei der 50 und der 35 vor allem um "politisch vorgegebene Werte" handelt, die nur eine grobe Richtschnur sein können, daran lässt Günther keinen Zweifel.
Auch für Mutationen gerüstet
Laut einem Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums ist ein reibungsloses Infektionsmanagement durch die Gesundheitsämter bei beiden Inzidenzwerten sichergestellt. "Die Ämter wurden in den vergangenen Monaten massiv mit Personal verstärkt und sind damit auch für die Kontaktnachverfolgung bei Infektionsfällen mit den neuen besorgniserregenden Virusvarianten gut gerüstet", betont er.
Ähnlich sieht man es auch am Gesundheitsamt Erlangen, wo sich das Personal mittlerweile über eine klar unter dem Frühwarnwert von 35 liegende Inzidenz im Stadtgebiet freuen kann. Grundsätzlich sei die Eindämmung einer Epidemie abhängig von dem zahlenmäßigen Verhältnis der zu isolierenden Personen und denjenigen, die für die Isolierung zuständig sind", erklärt Stephanie Mack, Pressesprecherin der Stadt Erlangen. Weitere Kriterien seien der Digitalisierungsgrad und die Qualifikation des Personals – und da sieht man sich gut aufgestellt. Die Situation in Stadt und Landkreis sei deshalb auch bei einer Inzidenz von über 35 beherrschbar, betont Mack.
Streit um den Inzidenzwert: Ist nun die 35 die neue 50?
Nach Ansicht mehrerer Bürgermeister deutscher Großstädte sei eine Kontaktnachverfolgung positiv getesteter Menschen sogar bei einer 7-Tage-Inzidenz von deutlich über 50 noch möglich. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker etwa sagte vor Kurzem, dass man in ihrer Stadt seit Monaten in der Lage sei, trotz Werten über dieser Schlüsselmarke sowohl die positiv Getesteten als auch die Kontaktpersonen "innerhalb von 24 Stunden zu kontaktieren und Quarantäneanordnungen zu verhängen". Ähnliche Angaben machten auch Stadtoberhäupter aus München, Leipzig und Düsseldorf.
IT-Lösungen laufen inzwischen rund
Helmut Dedy, Geschäftsführer des Deutschen Städtetags, verwies in diesem Zusammenhang auf die schnelle Einführung von IT-Lösungen in Großstädten: "Die dortigen Lösungen laufen rund und befähigen die Gesundheitsämter dort schon jetzt, auch bei einer Inzidenz weit über 50 die Kontaktnachverfolgung zu gewährleisten. Das wird nur in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen."
Umgekehrt könne diese Arbeit bei zunehmenden Öffnungen sehr erschwert und aufwändig werden, warnt Christian Ell, Sprecher des Landratsamtes Fürth, und Katja Günther betont, dass sich gerade vor dem Hintergrund der hochansteckenden Virusmutationen die Ausgangssituation jederzeit ändern könne. "Im Entspannungsmodus sind wir noch lange nicht", sagt die Chefin des Nürnberger Gesundheitsamtes.