
Nach einem kurzen Augenblick war alles vorbei. Ein Piks, dann arbeitete Ulrich Koch weiter. Koch ist Stationsleiter am Martha-Maria-Krankenhaus in Nürnberg. Als Intensivpfleger sieht er jeden Tag, welche Folgen eine Corona-Erkrankung haben kann. Für ihn stand außer Frage, sich impfen zu lassen, auch wenn Nebenwirkungen auftreten können.
Eine Reaktion spürte er tatsächlich wenig später: Er bekam Kopfschmerzen. Eine Begleiterscheinung, die der Hersteller Biontech/Pfizer in seinem Aufklärungsblatt zur Covid-19-Impfung beschreibt. „Diese Nebenwirkung nach einer Impfung kennen wir gut“, sagt Koch. Denn er und sein Team lassen sich jedes Jahr gegen Grippe impfen - und haben nicht selten auch danach mit Kopfschmerzen oder Abgeschlagenheit zu kämpfen.
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Doch welche, womöglich schweren Nebenwirkungen und Langzeitfolgen kann die Impfung gegen Covid-19 haben? „Nebenwirkungen aufgrund von Impfungen treten sehr selten auf“, beruhigt Christian Bogdan. Er ist Experte für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Ständigen Impfkommission, kurz STIKO. Dort gehört er unter anderem der Arbeitsgruppe „Covid-19-Impfung“ an. „Es gibt bisher keine Hinweise, dass schwere, irreversible Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung auftreten“, sagt Bogdan. Zu den bekannten Erscheinungen, die Ausdruck einer normalen Impfreaktion seien, gehören Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Kopf- und Muskelschmerzen. Manchmal röte sich auch die Einstichstelle, so Bogdan. All diese Symptome klangen bei den Geimpften nach kurzer Zeit ab. Nach der zweiten Dosis, die nach rund drei Wochen verabreicht werden soll, kann es wiederum zu den gleichen Reaktionen kommen, wenngleich diese gegebenenfalls etwas stärker ausfallen.
Dass es in Zukunft zu schweren, unerwünschten Reaktionen, also Impfkomplikationen oder gar Impfschäden, kommen könnte, schätzt der Experte als unwahrscheinlich ein. Die rund 22.000 Menschen, die im vergangenen Juli im Rahmen der klinischen Studie von Biontech/Pfizer den mRNA-Impfstoff erhalten haben, werden weiterhin beobachtet. Bislang hätten sie keine Erkrankungen, die mit der Impfung zusammenhängen könnten, gezeigt, so Bogdan. Bei vier Probanden sei während der Studienphase eine Gesichtslähmung aufgetreten, die reversibel war. Ob das allerdings mit der Impfung zusammenhängt, ist nicht sicher. Denn Erkrankungen nach einer Impfung können auch auf andere Faktoren zurückgeführt werden, betont Bogdan. Vorerkrankungen, Genetik, Allergien - jeder Mensch bringt eine individuelle Krankengeschichte mit.
Nebenwirkungen zeigen sich bereits nach Stunden
„Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfungen generell nicht bekannt“, heißt es beim Presseamt des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel. „Nebenwirkungen von Impfungen treten innerhalb weniger Stunden oder Tagen auf. In seltenen Fällen auch mal nach Wochen“, so Pressesprecherin Susanne Stöcker. Christian Bogdan verweist dazu auf die Datenlage. Vor sechs Monaten wurden die Studienteilnehmer mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer geimpft. Mitte Dezember erteilte die US-Arzneimittelbehörte die Notfallzulassung für diesen Impfstoff, in Großbritannien waren die Behörden zwei Wochen früher dran. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA erteilte eine reguläre Zulassung für den Impfstoff am 21. Dezember. Mittlerweile haben den neuen mRNA-Impfstoff weltweit über 18 Millionen Menschen bekommen. Schwere Nebenwirkungen sind bislang nicht bekannt.
Keine Langzeitfolgen, sondern Nebenwirkungen
Impf-Mediziner sprechen nicht von Langzeitfolgen, sondern von unerwünschten Nebenwirkungen. Sehr seltene Nebenwirkungen erkenne man erst, wenn der Impfstoff lange Zeit auf dem Markt sei und hundert- oder gar millionenfach verimpft wurde, so Susanne Stöcker. Das bedeutet: Will man eine seltene Nebenwirkung nachweisen, die nur in einem von 100.000 Fällen auftritt, muss man den Impfstoff mehreren hunderttausend Menschen spritzen. Im Fall des neuen Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 ist dieser Schwelle längst überschritten.
Außerdem muss bei der Betrachtung von Nebenwirkungen stets die sogenannte Hintergrundinzidenz herangezogen werden. Tritt eine bestimmte Erkrankung auf, die auch bei einer ungeimpften Population innerhalb eines bestimmten Zeitraums auftreten würde?
Generell gilt: Jede Impfung kann eine Reaktion im Körper hervorrufen. Das Risiko besteht beispielsweise, wenn man allergisch auf einen Inhaltsstoff des Vakzins reagiert. Der mRNA-Impfstoff ist in Lipidpartikel verpackt, die unter anderem aus Polyethylenglycol bestehen. Dieser Stoff wird auch in Pflege- und Kosmetikmitteln verwendet und kann allergische Reaktionen hervorrufen. Weiß man, dass man eine Unverträglichkeit aufweist, darf man nicht geimpft werden.
Vergleich zur Schweinegrippe-Impfung hinkt
Vielen ging die Zulassung des Impfstoffes zu schnell. Skeptiker verweisen auf H1N1. Gegen die Schweinegrippe entwickelten Pharmakonzerte ebenfalls in Rekordzeit Impfstoffe. Die Zulassungsbehörden gaben schnell grünes Licht. Unter anderem ließ die EMA im Herbst 2009 das Mittel Pandemrix des britischen Herstellers GlaxoSchmithKline zu. Rund 30 Millionen Europäer ließen sich impfen.
Monate später klagten diese Menschen über Schlafattacken am hellichten Tag. Später stellten Studien einen Zusammenhang zum Impfstoff Pandemrix her. Das Mittel könne Narkolepsie, eine unheilbare neurologische Krankheit, auslösen. Zweifelsfrei nachgewiesen ist das bis heute nicht. Mehr als tausend Impfpatienten waren damals betroffen, vor allem Kinder und Jugendliche, die allerdings nie Teil der klinischen Studie waren – und dennoch das Mittel verabreicht bekommen hatten. Aus der Vergangenheit hat man offenbar Lehren gezogen. Der Impfstoff gegen Covid-19 wurde bislang nicht an Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren getestet. Daher wird diese Gruppe derzeit nicht damit immunisiert.
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Pandemrix ist längst vom Markt verschwunden. „Die nach der Pandemrix-Impfung beobachtete Narkolepsie ist ein Beispiel für eine außergewöhnlich seltene Nebenwirkung, die in keiner klinischen Prüfung hätte erkannt werden können. Es wären mehrere hunderttausend Probandinnen und Probanden nötig gewesen, um diese seltene Nebenwirkung nachweisen zu können“, so Susanne Stöcker. „Üblicherweise sind in den klinischen Prüfungen der Phase 3 mehrere tausend bis zirka 20.000 Personen beteiligt. In den klinischen Prüfungen der jetzt zugelassenen COVID-Impfstoffe waren es mehr als 40.000 Personen – also mehr, als jemals zuvor bei einem Impfstoff.“ Von den 44.820 Studienteilnehmern von Biontech/Pfizer erhielt die Hälfte den mRNA-Impfstoff, die andere Hälfte ein Placebo.
RNA wird nach wenigen Tagen abgebaut
Dass der neuartige mRNA-Impfstoff in die Gene des Menschen eingreift, ist eine unbegründete Angst. Entsprechend gibt es auch keinerlei Hinweise, dass der Impfstoff die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnte, so der Erlanger Mediziner Christian Bogdan. Dem Körper fehlen dazu schlichtweg die Proteine, die es bräuchte, um mRNA in DNA umzuschreiben. Im Umschreiben sind übrigens Viren wahre Meister: Sie dringen - wie das Coronavirus - in menschliche Körperzellen ein und ersetzen Teile des Zellkerns mit ihrem eigenen Erbgut. Die Körperzellen sind dann gezwungen, nur noch neue Viren zu produzieren.
An mRNA-Impfstoffen wird seit 20 Jahren geforscht. Die Abkürzung steht für messenger-Ribonukleinsäure. Bei herkömmlichen Impfungen wird ein fertiges Antigen gespritzt. Beim mRNA-Impfstoff hingegen erhält der Geimpfte eine sogenannte Bauanleitung, um das Impf-Antigen selbst herzustellen. Hierbei handelt es sich um eines der äußeren Hüllproteine, das sogenannte Spike-Protein von SARS-CoV-2, das für das Eindringen in Wirtszellen notwendig ist. Nachdem das Protein in den Körperzellen produziert wurde, wird die RNA innerhalb von wenigen Tagen abgebaut. Gegen das virale Eiweiß werden Antikörper gebildet und T-Lymphozyten aktiviert. Bei einer Ansteckung kann das Immunsystem dann frühzeitig auf die Eindringlinge reagieren und diese abwehren.
„Die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion sind wesentlich gravierender einzuschätzen“, sagt Christian Bogdan. Denn wer Covid-19 überwunden hat, ist noch lange nicht gesund. Bei 20 bis 30 Prozent der Erkrankten tritt das sogenannte Post-Covid-Syndrom auf, schätzt die Deutsche Ärztekammer. Dazu zählen muskuläre und neurologische Probleme. Bei einigen Patienten ist auch nach Monaten der Geschmacksinn nicht vollständig zurückgekehrt und sie klagen über Müdigkeit - und auch über Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit.